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Faszination Menschenfresser : erstaunliche Geschichten über die gefährlichsten Tiere der Welt / Mario Ludwig

Auf den ersten Blick hält man das hier besprochene Buch aufgrund des Titels zunächst eher für einen oberflächlichen Reisser, wird aber rasch eines Besseren belehrt. Mario Ludwig widmet sich den großen rezenten Prädatoren: Tiger, Löwe, Leopard, Hyäne, Grizzly und Wolf finden neben Pottwalen und Orcas ebenso seine Aufmerksamkeit wie Krokodil, Komodowaran, Anakonda, weißer Hai, Piranha und – der Menschen selbst und der bei ihm gelegentlich vormommende Kannibalismus.

Dabei geht er etlichen realen Ereignissen ebenso akribisch nach wie er viele Mythen entlarvt. Schnell wird klar, dass Tiger zwar durchaus gefährlich sein können, die größte Gefahr für uns Menschen aber nicht von jenen Raubtieren ausgehen, die an der Spitze der Nahrungskette stehen, sondern von vergleichsweise kleinen krankheitsübertragenden Insekten wie der Anophelesmücke, dem Tigermoskito, der Tstetsefliege oder dem Pärchenegel: sie fordern weitaus mehr Opfer als die oft schon an den Rand des Aussterbens getriebenen Raubtiere, die in diesem Buch vorgestellt werden.

Mensch und Raubtier waren schon in der Vergangenheit nicht nur Nahrungskonkurrenten: die Angst des Menschen vor entsprechenden Tieren hat ihre Berechtigung, lässt sich doch nachweisen, dass Menschen schon vor 200000 Jahren zum Beutesprektrum etwa von Hyänen gehörten. Doch in Ludwigs Buch wird auch deutlich, dass sich die Verhältnisse in der jüngsten Vergangenheit verschoben haben: der Mensch hat sich stark ausgebreitet und macht Raubtieren nicht nur ihren Lebensraum, sondern auch ihre Beutetiere streitig. Unzweifelthaft kommt es duch den hohen Druck auf die bedrohten Beutegreifer auch zu regelmäßigen Übergriffen dort, wo Menschen in großer Zahl auftreten und die tierischen Jäger auf den Geschmack kommen.

Im Verhältnis zur oben beschrieben Zahl von Millionen Menschen, die durch von Insekten übertragene Krankheitserreger sterben, nimmt sich die Zahl menschlicher Verspeisungen durch die großen Prädatoren extrem gering aus: letztlich ist es der Mensch selbst, der durch den Bevölkerungsdruck und die rückhaltlose Eroberung einst entlegener Gebiete sich der Gefahr aussetzt, ins Beutespektrum von Raubtieren zu geraten. Unvorsichtigkeit und Leichtsinn in der Wildnis kommen hinzu. Ludwig macht deutlich, dass das menschenfressenden Raubtier an sich ein auch von den Medien (und mancher blutrünstig aufbereiteten televisionären Raubtierdokumentation) geschürter Mythos ist: letztlich gilt für die allermeisten Raubtiere das, was auch für uns Trockennasenaffen (vulgo Menschen) gilt: sie wollen überleben und folgen dabei ihren Sinnen und Instinkten, die in Jahrmillionen der Evolution ihre gegenwärtige Ausprägung erreicht haben. Eine moralische Bewertung ist dabei nicht möglich, auch wenn es bedauerlich ist, dass ab und an ein Mensch durch ein Tier verspeist wird.

Wohl aber ist es ethisch fragwürdig, mit welcher Kaltblütigkeit wir Menschen heute die Biotope vieler Raubtiere ausbeuten und vernichten: eine faszinierende Raubkatze wie der Tiger scheint derzeit in seinem Bestand so weit dezimiert zu sein, dass sein Überleben mehr als gefährdet ist. Tieren wie dem Wolf wird hierzulande mit überzogenen Ängsten begegnet – ebenso wie der Komodowaran zum letzten, natürlich blutrünstigen Drachen überstilisiert wird.

Leider haben Filme wie „Der weiße Hai“ nicht selten ihren Beitrag dazu geleistet, Raubtiere auf einen Status als gefährliche Bestien zu reduzieren: heute sind Weiße Haie, denen lange als vermeintlich kaltblütige Mörder jegliche Lobby fehlte, selten geworden und gelten bereits als bedrohte Tierart. Ludwigs Buch ist ein Beitrag gegen die Dämonisierung faszinierender Tierarten, wartet mit verblüffenden Fakten, Erkentnissen, Anekdoten und darüber hinaus einer gut abgewogenen Portion Humor auf. Sauber differenziert er zwischen der – meist banalen – Wirklichkeit im Verhältnis Raubtier-Mensch und dem Mythos, der maßlosen Übertreibung. Und natürlich zeigt er auch auf, wo der Mensch aufgrund seiner Gier Tiere an den Rand des Aussterbens treibt: beispielhaft seien nur die Jagd auf Tigertrophäen für die obskure TCM und auf Haifischflossen für sündhaft teure Suppen genannt.

Dem spannend zu lesenden Buch, dem leider jegliche Illustration fehlt, sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen, die hoffentlich genauso fasziniert sind wie ich von den erstaunlichen Leistungen und Fähigkeiten der hier vorgestellten Raubtiere.

10 Kommentare zu “Faszination Menschenfresser : erstaunliche Geschichten über die gefährlichsten Tiere der Welt / Mario Ludwig

  1. Ja Fotos wären schön, es gibt so viele einzigartige Tierportraits. Man könnte es auch mischen mit vignettenartigen Cartoons. Ich hatte in der Aubildung zu tun mit einem Illustrator, der mit den Studenten mit Cartoons gearbeitet hat, wunderbare, eben auch herrlich böse Sachen kamen dabei heraus. Dies ist so ein Thema wo sie sich gut eignen würden, denn Cartoons können treffend und unangenehm sein, ohne unappetitlich zu sein.
    Leider wird zu wenig mit Illustrationen in Büchern für erwachsene Leser gearbeitet, ja fast gar nicht (mehr).

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    • Ja, bei vielen Büchern wären Illustrationen auch fern von der üblichen Fotografie eine echte Bereicherung. Zum Glück gibt es immer mal wieder solch eine gelungene Verbindung von Wort und Bild … aber bei manchen Büchern fehlen sie leider ganz, obwohl sie gut zum Anliegen des Buches gefasst hätten.

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  2. Eine Bebilderung (von zerrissenen Menschen) wäre dem Werk sicher nicht zuträglich und würde es auf ein falsches, makaberes Gleis schicken. 😉

    Dennoch greift es eine Thenatik auf über die oft geraunt wird, dennoch nur Halbwissen existiert. Ich bin versucht einen Blick hinein zu werfen.

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